Wieso soll das Kommunalverfassungsgesetz geändert werden?
Bevor im November 2021 die im September gewählten kommunalen Vertretungen zusammenkommen, wird erst noch eine Entscheidung des Niedersächsischen Landtags abzuwarten sein. Die kommunalen Vertretungen verfügen über Ausschüsse, in denen die Vorlagen bereits einmal debattiert werden, bevor sie dann im jeweiligen Rat beschlossen werden können. Bislang wird die Zahl der Mitglieder, die jede Fraktion (oder Ratsgruppe) in diesen Ausschüssen stellt, nach dem sog- Hare-Niemeyer-Verfahren berechnen In der Sitzung des Landtags am 13. – 15. Oktober wird darüber entschieden, ob stattdessen das sog. D’Hondt-Verfahren angewendet werden soll. Dies würde dazu führen, dass kleine Fraktionen und Ratsgruppen unter Umständen keinen Sitz mehr einem Ausschuss haben. Die FDP z.B. hatte 2019-2021 einen Sitz in 3 Ratsausschüssen der Stadt Gehrden. Nach dem neuen Gesetz hätte sie keine Sitze gehabt.
Meine Partei hat geplante Gesetzesänderung in einer Pressemitteilung kritisiert, und KommunalpolitikerInnen meiner Partei habe eine Online-Petition gegen diese Gesetzesänderung gestartet. Diese Petition kann hier unterschrieben werden. Die Petition erklärt das Problem so:
Durch die vorgesehene Änderung des Auszählungsverfahrens zur Bestimmung der Anzahl von Vertreter*innen von Fraktionen und Gruppen in diesen Ausschüssen (von dem bisherigen Verfahren nach Hare/Niemeyer zum Verfahren nach D’Hondt) würden zukünftig große Fraktionen und Gruppen tendenziell bevorzugt, weil kleine(re) zukünftig eher nur Grundmandate (die lediglich Rede- und Antragsrecht bedeuten) erhalten und kein (Ab-)Stimmrecht mehr.
In der Begründung ihres Gesetzentwurfes schreibt die Landesregierung hierzu: „Die Mitwirkung eines größeren Kreises von Fraktionen, Gruppen oder Einzelabgeordneten in der Vertretung führt in aller Regel zu einer schwerfälligeren Meinungsbildung.“ Diese angeblich ’schwerfälligere Meinungsbildung‘ soll nun durch Verringerung des Einflusses kleiner(er) Fraktionen und Gruppen verhindert werden. Kurzum: Die Mehrheitsfraktionen in den kommunalen Vertretungen sollen künftig leichter ‚durchregieren‘ können.
Ob das mit dem ‚Durchregieren‘ klappt, wage ich zu bezweifeln. Das Merkwürdige an dieser Gesetzesvorlage von CDU und SPD im Landtag ist, dass es für die kommunalpolitische Entscheidungsfindung eher kontraproduktiv ist. Die Ausschüsse der Kommunalparlamente dienen ja nur zur Debatte von Anträgen, beschlossen werden diese immer noch durch den Rat der jeweiligen Gemeinde bzw. die Kreistage oder die Regionsversammlung. Und die Mehrheitsverhältnisse dort bleiben natürlich unverändert. In den Kommunalparlamenten, in denen es nur knappe Mehrheiten gibt (und das sind nicht viele!) verringert sich tendenziell eher die Chance auf mehrheitsfähige Kompromisse. Die öffentliche Debatte bleibt davon allerdings unberührt. §74, Abs. 4, Satz 1 NKomVG bleibt ja inhaltlich unverändert; jede Fraktion oder Ratsgruppe entsendet auf jeden Fall ein Mitglied ohne Stimmrecht (!) in jeden Ausschuss.
Worauf SPD und CDU im Landtag mit dieser Gesetzesänderung abzielen ist mir also bislang unklar. Handelt es sich nur um ein Machtspielchen? Wollen SPD und CDU die kleinen Parteien und die unabhängigen PolitikerInnen in verschiedenen Ratsgruppen ärgern, indem sie ihnen einigen Ausschüssen das Stimmrecht wegenehmen? Das einzige, was vielleicht für das Verfahren nach D’Hondt spräche, ist, dass es einfacher zu rechnen ist. Hier ist mein Berechnungsbeispiel für die Ausschüsse im Rat der Stadt Gehrden 2019-2021.
Berechnung am Beispiel der Sitzverteilung 2019-21 im Rat der Stadt Gehrden
Das Verfahren nach Hare/Niemeyer wird in bisherigen §71 NKomVG, Abs. 2, Satz 2-5 so erläutert:
Die Sitze eines jeden Ausschusses werden entsprechend dem Verhältnis der Mitgliederzahl der einzelnen Fraktionen oder Gruppen zur Mitgliederzahl aller Fraktionen und Gruppen verteilt. Dabei erhält jede Fraktion oder Gruppe zunächst so viele Sitze, wie sich für sie ganze Zahlen ergeben. Sind danach noch Sitze zu vergeben, so sind sie in der Reihenfolge der höchsten Zahlenbruchteile, die sich bei der Berechnung nach Satz 2 ergeben, auf die Fraktionen und Gruppen zu verteilen. Bei gleichen Zahlenbruchteilen entscheidet das Los.
Der Rat der Stadt Gehrden hatte 2016-2021 28 Mitglieder (27 Ratsfrauen und -herren, plus den Bürgermeister), davon waren 2019-2021 aber nur 26 Mitglieder einer Fraktion. Der Bürgermeister zählt für die Berechnung nicht mit und die Ratsgruppe von Grünen und Linken hatten wir ja aufgelöst, und als einzelmandatieres Ratsmitglied zählte ich für die Berechnung ebenfalls nicht mit.
Wir haben also 26 Sitze für 5 Fraktionen, und zwar genau so; Sitze im Rat CDU: 9 SPD: 8 Grüne: 5 AfD: 3 FDP 2. Ein Ausschuss hat 9 Mitglieder.
CDU (9); Verhältnis: 9*(9/27)= 81/27= 3,0; Sitze nach ganzen Zahlen: 3
SPD (9); Verhältnis: 8*(9/27)= 72/27= 2,67; Sitze nach ganzen Zahlen: 2 Verbleibende Zahlenbruchteile 0,67
Grüne (5); Verhältnis: 5*(9/27)= 45/27= 1, 67 ; Sitze nach ganzen Zahlen: 1 Verbleibende Zahlenbruchteile 0,67
AfD (3); Verhältnis: 3*(9/27)= 27/27= 1 ; Sitze nach ganzen Zahlen: 1
FDP (2); Verhältnis: 2*(9/27)= 18/27= 0,67 ; Sitze nach ganzen Zahlen: 0 Verbleibende Zahlenbruchteile 0,67
7 von 9 Sitzen wurden im Verhältnis, wie sie sich für ganze Zahlen ergeben, verteilt; 3 für die CDU, 2 für die SPD, und je 1 für Grüne und AfD. Die verbleibenden 2 Sitze hätten zwischen SPD, Grünen und FDP ausgelöst werden müssen, da sie den gleichen Zahlenbruchteil (0,67) hatten. In der Vorlage für diesen Tagesordnungspunkt (PDF) auf Sitzung mit der Neukonstitutierung der Ausschüsse wird dies so beschrieben. Soweit ich das Protokoll der Sitzung verstehe, hatten die drei Fraktionen stattdessen eine Absprache getroffen, und diese Sitze in den 6 Ausschüssen unter einander aufgeteilt. FDP war im BSP, AFE und VBG mit einem Sitz vertreten, dafür nicht im BA, SKS und AUE; Die Grünen hatten 2 Sitze im BSP, BA, SKS, und AUE, dafür aber nur einen Sitz im AFE und VBG; Die SPD hatte 3 Sitze im BA, AFE, SKS, AUE und VBG, dafür aber nur 2 Sitze im BSP.
Das Verfahren nach der vorgeschlagenen Gesetzesänderung wäre nun, wie es die Vorlag im Landtag beschreibt, folgendes gewesen:
Die Sitze eines jeden Ausschusses werden auf die Fraktionen und Gruppen nach der Reihenfolge der Höchstzahlen verteilt, die sich durch Teilung der Mitgliederzahlen der Fraktionen und Gruppen durch 1, 2, 3 und so weiter ergeben. Über die Zuteilung übrig bleibender Sitze entscheidet bei gleichen Höchstzahlen das Los.
Auf die Sitzverteilung von 2019-2021 angewendet, ergibt sich folgendes Ergebnis; die erste Spalte nennt die Partei, die zwei Spalte Mitgliederzahl der Fraktion, die 3. und 4. Spalte dann die Mitgliedzahl der Fraktion geteilt durch 2 bzw. 3.
CDU: 9 (1. Sitz) | 4,5 (4, Sitz)| 3 (6. Sitz)
SPD: 8 (2. Sitz)| 4 (5. Sitz)| 2,67 (8. Sitz)
Grüne: 5 (3. Sitz) | 2,5 ( 9.Sitz) | 1,67
AfD: 3 (7. Sitz)| 1,5 | 1
FDP: 2 |1 |
Wie man erkennen kann, hätte die FPD bei dem Verfahren nach D’Hondt keinen Sitz in den Ausschüssen erhalten. Stattdessen hätte die SPD in jedem Ausschuss 3 Sitze und die Grünen in jedem Ausschuss 2 Sitze gehabt. Die FDP hätte natürlich immer noch ein beratendes Mitglied gehabt, aber wieso die CDU und SPD im Landtag der FDP diese Sitze nicht gönnen wollen, das erschließt sich mir nicht.
Weiterführende Links:
Bisherige Gesetzeslage: Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG), §71, Abs. 2
Vorgeschlagene Gesetzesänderung: Drucksache 18/9075 des Landtags Niedersachsenm S. 6
Petition gegen die Gesetzesänderung auf change.org.