Rawls und Nozick gegen Marx

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7. Persönliches Fazit

Nun sind bestimmte Grundfragen der politischen Philosophie tatsächlich so kompliziert, dass sie sich nur auf einem vergleichsweiseanspruchsvollen Abstraktionsniveau untersuchen lassen. Den Kontraktualismus, als eine in sich geschlossene Theorie, gibt es nicht. Stattdessen sind drei kontraktualistische Argumentationsformen zu unterscheiden (die sich allerdings durchaus kombinieren lassen).

– Echte kontraktualistische Argumentation, die mit einem freiwillig eingegangenen impliziten    (oder expliziten) Gesellschaftsvertrag argumentiert,

– eine Argumentation, die letztlich an Eigeninteresse appelliert

– die Argumentation mit einem hypothetischen Vertrag als Gedankenexperiment

In der fachphilosophischen Debatte im Kontraktualismus der 1970er bis 90er wurden diese drei Argumentationsformen nicht präzise auseinandergehalten, und auch in der eher philosophiegeschichtlich orientierten Fachliteratur (insbesondere Kerstings: »Politische Philosophie des Gesellschaftsvertrag«) sind die Unterscheidungen nicht ganz klar. Hier sehe ich durchaus Forschungsbedarf in der akademischen politischen Philosophie, aber ein solches komplexes Thema zu bearbeiten lohnt sich nur im Rahmen einer Dissertation. Nur – als Selbstzweck bin ich an der politischen Philosophie nicht interessiert, mir kommt es vor allem auf ihre Anwendung in den politischen Debatten an. Die Debatte, um die es in diesem Essay ging, war die von Kapitalismus vs. Sozialismus; Abschnitt 3 wendete die Argumentation vermittelts eines impliziten Vertrags an, Abschnitt 4 die interessenbezogene Argumentation, und Abschnitt 5 die vermittelst eines hypothetischen Vertrages.  In Anbetracht der Krise des neoliberalen Kapitalismus und dem deutlich zu erkennenden stärkeren Interesse am Sozialismus denke ich schon, dass es ein gesellschaftspolitisches Interesse an dieser Anwendung der politischen Philosophie gibt.

Die Auffassung, dass politische Philosophie nicht außerhalb des Getümmels der konkreten politischen Debatten steht, wird durchaus vertreten (z.B. von S. Fleischacker in seinem Kommentar zu Adam Smith, On Adam Smith’s Wealth of Nations, 2005). Aber so konkret, wie ich teilweise in diesem Essay vorgegangen bin (u.a. mit Zitaten der kommunistischen Regierungschefs Chruschtschow und Deng Xiaoping) lässt sich in einem akademischen Text in der politischen Philosophie sicherlich nicht vorgehen. Deswegen ist mir nicht wirklich klar, welche praktische Schlussfolgerung ich aus diesen Überlegungen ziehen soll.

Die theoretische Schlussfolgerung in der Kontroverse Kapitalismus vs. Sozialismus ist folgende: Das Privateigentum an Kapital ist grundsätzlich (!) legitim, obwohl die Arbeitern im Kapitalismus den Arbeitsvertrag nicht freiwillig eingehen – wenn es den Arbeitern im Kapitalismus besser geht als im Sozialismus. Ist damit der Sozialismus widerlegt? Nicht unbedingt: Die Möglichkeit, dass es den Menschen im Sozialismus besser geht als in allen anderen Gesellschaftsformen, lässt sich nicht deduktiv ausschließen. Wer also dafür plädieren will, dass Privateigentum an Kapital vollständig abzuschaffen (und nicht nur in den Wirtschaftsbereichen, in denen freie Märkte nicht funktionieren), muss ‚bloß‘ darlegen, wie dies dazu führt, dass es den am wenigstens Begünstigen im Vergleich mit allen anderen Gesellschaftsformen am besten geht. Dies ist natürlich ein bisschen viel verlangt – fürs erste würde eine Darstellung, woran der Sozialismus Ostblocks des wirtschaftspolitisch gescheitert ist   – und was man denn besser machen würde – schon reichen. Solche Entwürfe gibt es auch durchaus (in der Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema ‚Sozialismus‘ werden sie auf S. 30ff dargestellt), aber was fehlt ist eine Theorie mit dem Anspruch einer ‚grand theory‘, vergleichbar mit dem Anspruch von Marx. In den modernen Sozialwissenschaften seit ca. 1950 ist man, mit guten Gründen, von dem Anspruch einer solchen ‚grand theory‘ abgerückt, aber in der politischen Philosophie wird ein solcher Anspruch durchaus vertreten, z.B. von John Rawls, meiner Meinung nach zurecht.

Was ich hier unter dem Stichwort ‚Egalitarismus‘ vertrete, ist letztlich eine theoretisch abgespeckte Variante von Rawls »Theorie der Gerechtigkeit«. Ich am Rande bin darauf eingegangen, welche konkreten politischen Forderungen sich aus dieser Theorie ergeben würden, und ich denke, mit diesen Forderungen bin ich in der LINKEN schon richtig. Nur begründe würde ich diese Forderungen eben auf der Grundlage einer linksliberalen-egalitären Theorie begründen, und nicht auf der Grundlange von Marx. Viele Menschen innerhalb und außerhalb der Partei scheinen dies nicht in Betracht zu ziehen: Nur weil ich gegen den Neoliberalismus bin, bin ich nicht für den Sozialismus (definiert als eine Form der gesellschaftlichen Kontrolle über die Produktionsmittel).

Deswegen stehe ich vor der Frage, ob ich in der LINKEN richtig bin, weil ich zwar ihre Forderungen teile, aber offenbar nicht deren theoretischen Begründung. In ihrer Satzung beschreibt sich DIE LINKE als pluralistische Partei:

Die neue LINKE ist plural und offen für jede und jeden, die oder der gleiche Ziele mit demokratischen Mitteln erreichen will. (Bundessatzung, Präambel)

Das Parteiprogramm von 2011 beginnt hingegen mit der Beschreibung der Partei „DIE LINKE als sozialistische Partei“; dies sind buchstäblich die ersten 5 Worte der Präambel. Dort findet sich nur ein deutlich schwächeres Bekenntnis zum Pluralismus, in der Form eines Hinweises auf die „unterschiedlichen politischen Biografien“ der Linken.

Ja, was denn nun? Wenn ich die konkreten Forderungen der Partei DIE LINKE teile, aber dies aus guten Gründen nicht ‚Sozialismus‘ nennen würde, bin ich in der LINKEN willkommen? Darüber bin ich mir immer noch im Unklaren. Was sich aber ziemlich schnell herausgestellt hat, ist, dass ich für eine Dissertation in der politischen Philosophie, die sich mit der normativen solcher Fragen beschäftigt, wohl kaum Förderung bekommen würde. Für den Gutachter der Rosa-Luxemburg-Stiftung waren Autoren wie Locke oder Smith bürgerliche Denker, mit denen man sich nicht zu beschäftigen braucht. Das Problem mit seiner Auffassung von politischer Ideengeschichte ist natürlich, dass man sich dann auch nur noch beschränkt mit Marx beschäftigen kann –  was eigentlich nicht die Position der Rosa-Luxemburg-Stiftung sein kann. Dies war aber bei weitem nicht die negativste Erfahrung, die ich im Umfeld der LINKEN gemacht habe.

Finanziell bin tatsächlich nicht auf ein Stipendium angewiesen. Ich will zwar den von Schröder/Fischer in Deutschland etablierten Niedriglohnsektor abschaffen, bin aber durchaus in der Lage, in diesem Sektor zu arbeiten, bis es gelingt, ihn abzuschaffen. Damit bin ich gegen eine Kritik immun, die wahrscheinlich gegen Universitätsprofessoren gerichtet wurde, die eine egalitäre Position vertreten: „Wenn sie einen Egalitarismus vertreten, warum sind sie dann so reich? Diese Frage stellt in der politische Philosoph G.A. Cohen (der einen marxistischen Hintergrund hat) in einem Essay: If you’re egalitarian, how come you’re so rich? und wohl auch in einem Buch mit diesem Titel. Die Rezension beim Guardian beschreibt das Problem  recht gut:

Rich egalitarians rarely give away their money – or as much of it as would be taken by an egalitarian state. Again, they justify themselves by arguing that justice is a matter of just institutions, not personal conduct. Again, there are cases where this argument holds: there is no point in sticking to the rules of tennis unless the rules are respected. But here, too, the argument does not quite carry over. On the contrary, Cohen contends, if you are an egalitarian, then there is no justification for waiting for the establishment of fair institutions. Consistency seems to demand that you give away your wealth now.

Ich hätte keinen Wohlstand, den ich weggeben könnte, deswegen stellt sich diese praktische Frage für mich nicht.  Politik (und politische Philosophie) ist so wichtig , dass ich mich auch damit beschäftige, ohne als Gegenleistung ein Stipendium oder eine Stelle bei der Partei zu erwarten. Das Problem dabei ist, dass es bei solchen Stipendien oder Parteistellen eben nicht nur bloß um Geld geht, sondern auch um Anerkennung. Einerseits würde ich bei den Positionen in der politischen Philosophie, die ich auch in diesem Essay vertrete, wohl kaum ein Stipendium erhalten, andererseits wäre ein solche Stipendium für viele Genossen wohl die Voraussetzung, um Inhalte, wie das, was ich in diesem Essay geschrieben haben, überhaupt ernst zu nehmen. Ich würde mich also, über die geeigneten Kanäle, sehr über positives Feedback freuen.

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