Inhaltsübersicht
- 1. Warum Egalitarismus? Warum nicht Sozialismus?
- 2. Der implizite Vertrag im Kontraktualismus
- 3. Arbeitsvertrag, Ausbeutung und ‚Systemvergleich‘
- 4. Nozicks Kritik an Marx
- 5. Rawls Kritik an Nozick
- 6. Weitere Aspekte des ‚Systemvergleichs‘
- 7. Persönliches Fazit
1.Warum Egalitarismus? Warum nicht Sozialismus?
Dass ich aktives Mitglied der LINKEN bin ist kein Geheimnis; und DIE LINKE beschreibt sich, in ihrem Programm, als sozialistische Partei. Deswegen kann leicht der Eindruck entstehen, dass ich Sozialist wäre. Dieser Eindruck ist falsch, und dies ist der eine Anlass für diesen Essay. Tatsächlich würde ich meine sozial- und wirtschaftspolitische Position als linksliberal-egalitär beschreiben. Dieser Essay soll aufzeigen, was damit gemeint ist, und wieso ich den Egalitarismus philosophisch als besser begründet erachte als den (marxistischen) Sozialismus.
Der zweite Anlass für diesen Essay ist der Wunsch, das, was ich in der politischen Philosophie eigentlich so mache, zusammenfassen. Der Zusammenhang dabei ist folgender: Das Thema meiner Dissertation in der politischen Philosophie ist ‚Kontraktualismus‘ (im weiteren Sinne), und der wichtigste Vertreter des modernen Kontraktualismus, John Rawls, ist zugleich der prominenteste Vertreter einer egalitären Position im 20. Jahrhundert. Dieser Essay stellt bestimmte Konzepte aus der kontraktualistischen politischen Philosophie vor, und wendet sie auf die Debatte Kapitalismus vs. Sozialismus an.
Dabei werden folgende Definition von Kapitalismus, Ausbeutung und Sozialismus verwendet: ‚Kapitalismus‘ beschreibt eine Gesellschaft, in welcher die Produktionsmittel in Privatbesitz sind. Dies ermöglicht ‚Ausbeutung‘, d.h. Inhaber der Produktionsmittel eignen sich einen beträchtlichen Teil des von den Arbeitern produzierten Wertes an. Eine sozialistische Gesellschaft ist der Gegensatz zu einer kapitalistischen, also eine solche, in welcher die Produktionsmittel nicht in Privatbesitz sind.
Politische Philosophie kommt nur selten zu eindeutigen Ergebnissen. Meistens lässt sich nur zeigen, dass die begrenzte Anzahl von in Betracht gezogenen Argumenten eher für die eine Position spricht (in diesem Fall: Egalitarismus), und weniger für die andere (in diesem Fall Sozialismus). Das Ziel ist also nicht, den Sozialismus zu ‚widerlegen‘; aber ich denke, dass sich zeigen lässt, wie sich die Debatte in den Bereich der Wirtschaftstheorie verlagert, und dort haben die VertreterInnen des Sozialismus aus historischen Gründen die schwächere Ausgangsposition. Diese ‚historische Gründe‘ sind natürlich der Sozialismus der DDR, der Mauerbau und die Grenzanlagen der DDR gegen den Westen. Die PDS selbst hat dies in ihrer Erklärung zum 40. Jahrestag des Mauerbaues 2001 gut beschrieben:
„Die Mauer war die Antwort auf den drohenden Exodus der DDR […] Der Mauerbau war der in Beton gegossene Nachweis der Unterlegenheit des stalinistisch geprägten Sozialismustyps in der DDR gegenüber dem realen damaligen Kapitalismustyp in der Bundesrepublik.“ (Link)
Diese damalige Erklärung des Parteivorstandes ist die halboffizielle Position der LINKEN zur DDR. ‚Halboffiziell‘ deswegen, weil sie, soweit ich weiß, zwar nie revidiert wurde, aber in der Partei auch nicht als so relevant angesehen wird, dass man davon ausgeht, dass jedes aktive Mitglied sie kennen muss. Dies ist insofern bedauerlich, weil man mit der Kenntnis dieser Erklärung bestimmte Diskussionen am Infostand für DIE LINKE. im Wahlkampf einfacher führen könnte. Dann ist einem nämlich klar, was damit umzugehen ist, wenn eine potentielle Wählerin (in diesem Fall mit russlanddeutschem Migrationshintergrund) sagt: ‚Sozialismus wollen wir nicht, das hatten wir ja schon Mal.‘ Der Sozialismus der DDR war dem kapitalistischen Wohlfahrtsstaat der BRD unterlegen; vor dem Mauerbau ließ sich dies daran erkennen, dass die Bürgerinnen und Bürger der DDR diese für die BRD verließen. Wenn die Menschen die Freiheit haben, sich zwischen zwei Gesellschaftsformen zu entscheiden, und sie sich mehr für die eine Gesellschaftsform entscheiden als für die andere, dann ist diese der anderen überlegen. Wenn der eine Staat seine Bürgerinnen und Bürger nicht daran hindert, auszuwandern, der andere Staat jedoch eine Mauer baut, um das zu tun, dann verfügt der Staat, der keine Mauer baut, über eine höhere Legitimität.
Diese Argumente selbst sind trivial; ihre theoretische Analyse ist es nicht. Das erste Konzept, das ich brauche, um zu erläutern, wieso der Exodus aus der DDR und der Mauerbau die Legitimität des ‚real-existieren‘ Sozialismus reduziert, ist das des ‚impliziten Vertrages‘ im Kontraktualismus.
Weiter zu Abschnitt 2