Entwurf für eine (nicht gehaltene) Rede zur Programmdebatte für die Europawahl
Liebe Genossinnen und Genossen,
politische Diskussionen, ob im Wahlkampf oder anderswo, können auch Spaß machen, das hängt aber auch von bestimmten Umständen habe. Nehmen wir nochmal eine Diskussion über die Position der LINKEN zu Russland. Wenn in einer Diskussion darüber auf den Fall von Andreas Maurer verwiesen wird, der als Wahlbeobachter in den besetzten Gebieten aktiv war, und ihre Übereinstimmung mit internationalen Normen attestiert, obwohl er selbst als Stadtrat in Quakenbrück in Niedersachsen in erster Instanz wegen Wahlfälschung verurteilt wurde (noch nicht rechtskräftig) [ http://www.fr.de/politik/donezk-und-luhansk-umstrittene-wahlen-a-1619895? ], dann habe ich in der Diskussion wohl keine Chance mehr, jemanden zu überzeugen, DIE LINKE zu wählen. Da sich der zuständige Kreis- und der Landesvorstand aber offenbar bislang nicht von dieser Person distanziert haben, und das ganze auf DIE LINKE zurück fallen wird, kann ich nur hoffen, dass sich im Wahlkampf niemand an dieses extreme Beispiel erinnert.
So oder so ist DIE LINKE in ihren außenpolitischen Positionen russlandfreundlicher als andere Parteien, und dies, meiner Wahrnehmung nach, über die verschiedenen Parteiflügel hinweg. Katja Kipping hatte im Wahlkampf 2017 die Geschichte eines mittelständischen Betriebes in Sachsen erzählt, der, vor den aktuellen Sanktionen, sehr viel nach Russland exportiert hatte, und durch die Sanktion jetzt von dem Bankrott bedroht ist. Tatsächlich lehne ich die Sanktionen gegen Russland ab, und wenn wir hier über Außenpolitik diskutieren können, dann würde ich darauf eben eingehen.
Begründet wurden diese Sanktionen meines Wissens mit der ‚völkerrechtswidrigen Annexion‘ der Krim. Tatsächliche gehörte die Krim aber bis in die 1950er zu Russland, und wurde dann von dem gebürtigen Ukrainer Chruschtschow an die Ukraine transferiert, das war damals ja nur eine administrative Gliederung in der Sowjetunion. Ähnliche übrigens mit dem gebürtigen Georgier Stalin und der georgischen Provinz Südossetien. Wenn nun Russland die Annexion der Krim mit diesen historischen Ansprüchen begründet, wäre das völkerrechtswidrig? Oder genau: Ist völkerrechtlich verwerflicher als die Begründung des 3. Golfkrieges durch die USA mit den Chemiewaffen, die der Irak dann doch nicht hatte?
Um an dieser Stelle überhaupt weiterzugekommen brauchen wir eine realistische Perspektive auf das Völkerrecht. Wenn innerhalb eines Staates ein Einwohner einen anderen überfällt, dann kommt die Polizei und die Justiz ins Spiel; wenn ein Staat einen anderen Staat überfällt, wer kommt dann? Die Weltpolizei USA? Hoffentlich nicht, die hat ja selbst den Irak und Afghanistan mit vorgeschobenen Gründen überfallen. (Ich meine, die damalige Regierung wollte Osama bin Ladan ausliefern, aber die Frist von 24 Stunden, die die USA gesetzt hatten, war zu kurz [ http://www.spiegel.de/politik/ausland/terrorismus-wollten-die-taliban-bin-laden-ausliefern-a-302730.html] ; wenn man etwas mehr verhandelt hätte, hätte man sich den Krieg vielleicht sparen können.)
[Der rechtsphilosophische Fachbegriff dafür ist im übrigen ‚Naturzustand‘. ] Tatsächlich ist es schwierig, das Völkerrecht als vergleichbar mit dem positiven Recht [noch ein rechtsphilosophischer Fachbegriff] zu verstehen. Wenn es über internationale Gerichte und UN-mandatierte Friedenstruppen durchgesetzt werden soll – wer soll die Unabhängigkeit des Gerichtes garantieren, und dass sich jene Staaten, die über ein mächtiges Militär (die Großmächte) verfügen, auch daran halten?
Tatsächlich handelt es sich beim Völkerrecht um Konventionen, die nur funktionieren, wenn sich alle daranhalten. Die schwächeren Staaten haben ein Interesse an diesen Konventionen, um sich vor den Aggressionen stärkerer Nachbarstaaten zu schützen; die Großmächte, die USA und Russland zumindest, haben offenbar kein Interesse daran. Man muss grundsätzlich die USA für die Kriege im Irak und in Afghanistan in der gleichen Weise kritisieren, wie Russland für die Kriege in Georgien und der Ostukraine. (Für einen noch detaillierteren Vergleich ist an dieser Stelle natürlich kein Platz.)
Nur, wie lassen sich dann die internationalen Konflikte entschärfen? Tatsächlich steuern wir wieder auf eine Situation zu wie im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als die Großmächte um ihre Einflusssphären konkurrierten. Das ist ja z.B. für die Geschichte Afghanistans wichtig, das war zu dieser Zeit ein Bufferstaat zwischen dem britischen und dem russischen Imperium, als sie dort ihre Einflusssphären abgegrenzt hatte; und der Konflikt, der aus der Überschneidung der beanspruchten Einflusssphären von Russland und Österreich-Ungarn im Balkan resultiert, war einer der Auslöser des 1. Weltkrieges.
In so einer Situation sehe ich derzeit keine andere Möglichkeit, als dass sich die Großmächte (wieder) auf eine Aufteilung der Welt in ihre jeweiligen Einflusssphären einigen, und auf die Krim, Teile der Ostukraine und Abchasien (eine Provinz von Georgien) wird Russland dabei wohl kaum verzichten. Dass heißt nicht, dass die Sanktion sofort (ohne Gegenleistung) aufgehoben werden müssten – aber das heißt, dass der Westen sich mit Russland an einen Tisch setzen müsste, mit der Perspektive, die Sanktionen aufzuheben, ohne dabei von der Voraussetzung auszugehen, dass Russland sich aus den genannten Gebieten zurückziehen muss. Darauf werden sich die USA aber natürlich nicht einlassen, weswegen man eigentlich im nächsten Schritt über eine gemeinsame europäische Außenpolitik diskutieren müsste.
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit