Neuere Irritationen in der Kommunalpolitik (Teil I)
Im Oktober 2018 erschienen in der Calenberger Zeitung Leserbriefe zur Kommunalpolitik (im Internet nicht frei zugänglich), die sich kritisch gegenüber der Politik der Ratsmehrheit von CDU und SPD äußerten. Und weil ich diese Kritik teile, will ich an dieser Stelle ein weiteres Mal die jeweiligen Probleme darstellen. Die zwei Leserbriefe vom 20.10.2018 bezogen sich auf die Änderung des Bebauungsplans, um es der Firma Bosselmann zu ermöglichen, an dem Kreisel am nordöstlichen Ortsausgang Gehrdens eine Backstube (wörtlich: „Bäckereigastronomiebetrieb“) zu errichten. (Der Leserbrief vom 29.10. ist Gegenstand eines weiteren Beitrags.)
Der Bericht das HAZ über die Ausschusssitzung ist hier zu finden: Der erste Leserbrief von Jürgen Meyer befürchtet eine Zunahme von Verkehr und Lärm, vor allem aber bleibt der Sinn der ganzen Maßnahme „rätselhaft“:
Dient sie der immer wieder geforderten Entwicklung der Innenstadt oder soll doch eher alteingesessenen Familienbäckereien der Garaus gemacht werden, nachdem es in den vergangenen Jahren durch zum Teil katastrophal abgewickelte Baumaßnahmen nicht geschafft hat?
Auch der zweite Leserbrief, von Dr. Alexander Weiß (nicht verwandt mit dem Alexander Weiß, der einer der Inhaber der Bäckerei Weiß, einer der genannten Familienbäckereien, ist?) kritisiert die Zunahme des Verkehrs und würde gerne die Grünfläche erhalten sehen. Vor allem stellt jedoch er fest, dass es in den Gehrdener Supermärkten ja schon mehr als genug Backshops gibt, in denen vorgefertigte Teigrohlinge aufgebacken werden.
In seiner Kritik hat der erste Leserbrief auf jeden Fall Recht. Wenn die CDU jetzt der Meinung ist, einen weiteren Geschäftsbetrieb die Ansiedlung an der Hauptverkehrstraße am Stadtrand zu ermöglichen, dann hätte sie keinen Antrag zu stellen brauchen: Gehrdener Innenstadt beleben und Wirtschaft fördern. Politiker können es sicherlich nicht allen Bürgern recht machen, aber sie können wenigstens versuchen, sich nicht selbst zu widersprechen. Also: Entweder die Innenstadt stärken oder Geschäfte am Stadtrand ansiedeln – nicht versuchen, beide Positionen zugleich zu vertreten. Der andere wesentliche Punkt, den ich in der Debatte sehe, ist der Verkehr. Der aktuellen Verkehrsstudie der HAWK für Gehrden ist zu entnehmen, dass
[…] der Stadtweg und die Schulstraße als Nord-Süd-Achse stark ausgelastet [sind]. Zwischen 12000 und 13000 Autos rollen täglich über die dafür nicht unbedingt ausgelegte Strecke.
In Hinblick darauf ist das keine gute Idee, einen weiteren Einzelhandelsbetrieb direkt an der Hauptverkehrsstraße anzusiedeln. Mit einer weiteren Ein- und Ausfahrt gibt das zu den Hauptbelastungszeiten eine weitere Verzögerung im Verkehrsfluss. Grundsätzlich lässt sich so etwas durch gute Verkehrsplanung vermeiden – wenn man schon ein gut mit dem Auto erreichbare Geschäfte am Stadtrand will, dann kann man ein eigenes Baugebiet dafür ausweisen, und die Verkehrsführung über eine einzige Straße an die Durchfahrtsstraße anbinden, am besten an einer Kreuzung oder einem Kreisel. Das hätte man im Idealfall aber klären müssen, bevor man die Genehmigung für den Lidl-Neubau erteilt. Mein konkreter Alternativvorschlag in dieser Situation wäre daher gewesen, das Vorhaben von Bosselmann erstmal abzulehnen, und in einigen Jahren, wenn die Planung für den Neubau der Bundestraße 65 nördlich von Gehrden konkreter geworden ist, zu prüfen, ob man dann nicht ein Gewerbegebiet mit einer Fläche ausweisen kann, die den Vorstellungen von Bosselmann entgegen kommt. Es versteht sich daher eigentlich schon von selbst, dass die Ratsgruppe Grüne/Linke gegen die Änderung des Bebaungsplans zur Ansiedlung von Bosselmann ist (vgl. Calenberger Zeitung vom 29.10.2018).
Ob es die Aufgabe der Kommunalpolitik sein kann, lokale Handwerksbetriebe vor den überregionalen Betrieben, die mit industriellen Methoden produzieren, zu schützen, ist im Übrigen eine gute Frage. Natürlich ergeben sich massive Skaleneffekte, wenn man nicht mehr für eine einzige Bäckereifiliale produziert, sondern im industriellen Maßstab für ein Dutzend, oder sogar für hunderte in den Supermarkt-Filialen, und diese vorgefertigten Teigrohlinge dann vor Ort nur noch aufgebacken werden. Deswegen sind diese Backshops ja auch deutlich günstiger.
Aber so funktioniert nun mal der Kapitalismus. Es gibt eine Tendenz zur Konzentration des Kapitals. Größere Betriebe arbeiten effektiver als kleinere, und tendieren dazu, diese zu verdrängen. Die Supermärkte, Discounter und Drogerien haben die Krämerladen verdrängt, und geraten nun wiederum tendenziell unter Druck durch den Vertrieb über das Internet. In diesem speziellen Fall gehe ich aber nicht davon aus, dass jene Filialen von Großbäckereien eine Gefahr für die Handwerksbäckereien vor Ort sind. Die bessere Qualität der vollständig vor Ort produzierten Backwaren ist klar erkennbar, und die Mehrheit der Menschen in Gehrden ist, zum Glück, nicht gezwungen, jeden Cent zweimal umzudrehen und kann sich bei täglichen Brötchen nach Geschmack entscheiden, und nicht nach Preis.