Soziale Gerechtigkeit statt Klassenkampf

Zur Milieudebatte in der LINKEN

Am 17.3. war in Hannover eines der Regionalforen der LINKEN, Thema war unter anderen: Wen wollen wir ansprechen und wie? Zur Frage von Klassen und linken Milieus. Zu Begin des Forums gab es eine längere Rede von Bernd Riexinger, die hier online gestellt ist: https://www.facebook.com/riexinger.bernd/videos/10155030353735683/

Auch wenn ich in einem entscheidenden Punkt eine andere Position vertrete als mein Parteivorsitzender, hat es sich schon wegen dieser Rede gelohnt, vorbeizukommen. Sie war nämlich nicht nur inhaltlich gut, sie war auch gut vorgetragen.   Die Empörung über die Armut der HartzIV-Betroffenen, die Waffenlieferungen an die Türkei oder andere von Riexinger angesprochene Problemlagen sind real, das ist keine rhetorische Figur.

Parallel zum Regionalforum fand in Hannover auch eine Großdemo gegen den Krieg in Syrien statt: ( http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Hannover-Kurden-Demo-zum-Newroz-Fest ) Diejenigen, die dort demonstrierten, sind nicht für ihre eigenen Interessen auf die Straße gegangen, sondern weil sie wütend sind, dass Deutschland weiterhin Waffen an die Türkei liefert, die in Syrien eine Offensive gegen die überwiegend kurdische Stadt Afrin führt. Die Menschen in Afrin haben das Recht, in Frieden zu leben, genauso wie alle anderen Menschen auch. Die Schwierigkeit bei solchen außenpolitischen Problemen ist immer die Frage, wie sich diese Kriege tatsächlich verhindern oder beenden lassen, aber dass dazu ein Ende der Waffenlieferungen an die Türkei gehört, darin sind sich alle Linken ausnahmsweise mal einig.

Was sich aber tatsächlich durch eine parlamentarische Mehrheit beenden ließe, wäre die Missachtung von sozialen Grundrechten in Deutschland. § 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ( https://www.amnesty.de/alle-30-artikel-der-allgemeinen-erklaerung-der-menschenrechte ) fordert für alle Menschen „Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen“. Mit HartzIV und den Problemen im Gesundheitssystem sind diese sozialen Rechte in Deutschland nicht hinreichend sichergestellt, obwohl die materielle Grundlage dafür gegeben wäre.

Gerade darin liegt das Alleinstellungsmerkmal der LINKEN, dass sie als einzige Partei im Bundestag diese Ungerechtigkeiten klar benennt, und die Wut darüber politisch zum Ausdruck bringen kann.

Wenn man an dieser Stelle weiterdenkt, dann wird die Frage, welche Milieus wir als DIE LINKE ansprechen wollen (die bei der Einladung auf der Tagesordnung stand), unwichtig. DIE LINKE vertritt eine Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit:  Sie appelliert nicht an die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, sondern an alle, die diese Vorstellung von Gerechtigkeit teilen.

Diese Aussage ist deutlich kontroverser, als es zunächst den Anschein hat. Ich habe hier noch einen theoretischen Text, den ich lesen will, in welchem die These vertreten wird, dass Marx diejenigen Linken, welche von einem Konzept sozialer Gerechtigkeit ausgehen, als utopische Sozialisten angesehen hätte.  Ideengeschichtlich trifft diese Interpretation von Marx m.E. zu, aber der Sache nach liegt Marx dann für mich falsch.

Eine linke Partei sollte von einem Konzept sozialer Gerechtigkeit ausgehen, und nicht vom ‚Klassenkampf‘.  Glücklicherweise ist DIE LINKE. eine plurale Partei, und keine marxistische, deswegen kann mir niemand fehlende Parteidisziplin unterstellen, wenn ich öffentlich eine Kritik an Marx äußere. Damit wende ich mich aber auch gegen eine zentrale These in der Rede von Bernd Riexinger. Ich würde mir nicht die Feststellung zutrauen, dass er ein Marxist ist, aber Riexinger hat in seiner Rede zumindest den Marxschen Klassenbegriff zitiert. In seiner Antwort auf die Beiträge in der Diskussion viel dann das Stichwort einer ‚modernen Klassentheorie‘. Zumindest in diesem Punkt sind wir uns einig. Das marxsche Konzept von Klasse reicht nicht, um die politischen Konflikte der Gegenwart angemessen abzubilden. Der Gegensatz von Arbeit und Kapital ist für ein Verständnis dieser Konflikte zwar von zentraler Bedeutung, aber insbesondere bei Marxschen Theorie der Überwindung des Kapitalismus scheint es ein zentrales Problem mit dem Klassenbegriff zu geben.

Ich würde allerdings soweit gehen, die ganze Diskussion über Klassen und Milieus dauerhaft von der Tagesordnung zu nehmen (in Universitäten, Lesekreisen und bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist das Thema besser aufgehoben). Ich gehe einfach nicht davon aus, dass Menschen unvermeidlich Egoisten sind, welche sich eine Partei danach aussuchen, ob sie die Interessen ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe vertritt (egal mit welchem soziologischen Konzept von Klasse oder Milieu man an dieser Stelle arbeiten will).

Menschen verfügen über so etwas wie moralische Gefühle. Jeder Mensch weiß, mehr oder weniger tief in seinem Herzen, dass es moralisch falsch ist, wenn man durch eigene Untätigkeit zulässt, dass andere Menschen hungern, frieren oder medizinisch nicht versorgt werden können. An diese Vorstellung von Gerechtigkeit lässt sich direkt appellieren; dies ist für mich sinnvoller als der Appell an Klasseninteressen.

Daraus ergibt sich auch eine Perspektive auf den Umgang mit der AfD: Ich hatte im Wahlkampf 2-3 Diskussionen mit AnhängerInnen von AfD-Positionen. Nachdem ich ihnen länger zugehört hatte, und sie jeweils erzählt hatten, wo sie (z.B. bei der Arbeitsagentur) ungerecht behandelt wurden, wurde es deutlich einfacher, mit ihnen zu diskutieren.  Klar: So lange ich selbst nicht bereit bin, anzuerkennen, wo sie ungerecht behandelt wurden, dürfte es schwierig sein, sie davon zu überzeugen, dass soziale Gerechtigkeit erfordert, dass wir alle Flüchtlinge, die zu uns kommen, bis auf weiteres versorgen.

Das heißt nicht, dass sich auf diese Weise tatsächlich WählerInnen für DIE LINKE gewinnen lassen. Aber zumindest ist es eine Strategie, wie sich in Diskussionen auf der Straße vorgehen lässt, wenn man die halbe Stunde Zeit hat, die erfahrungsgemäß dafür nötig ist, die emotionalen Ursachen hinter dem Ressentiment offenzulegen. Was sicherlich nicht hilfreich ist, ist solche Leute einen blöden Spruch an den Kopf zu werfen. (Das kann nötig sein, um jemanden loszuwerden, der am Infostand mit rechten Positionen nervt, aber diese Erfahrung hatte ich noch nicht.)

Der wichtigste Grund, nicht von Eigeninteresse auszugehen, ergibt sich jedoch aus der Reflektion über die Schwierigkeiten des Parteiaufbaus. Die Problemlage wurde in der Diskussion deutlich beschrieben: DIE LINKE ist in der Fläche (!) in Niedersachsen nicht kampagnenfähig, und hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Eine Genossin vom Geraer Dialog benannte außerdem das Problem einer ‚Funktionärspartei‘.

Ich teile diese kritische Analyse: Vom Wählerpotential ist DIE LINKE. inzwischen auch in Niedersachsen stark genug, um fast flächendeckend in die Kommunalparlamente einziehen zu können. Vielleicht gibt es in ländlichen, eher konservativen Regionen wie dem Eichsfeld oder der Grafschaft Bentheim noch kleinere Gemeinden, in denen DIE LINKE nicht auf die ca. 1,5-3% Stimmen kommen würde, die für einen Sitz im örtlichen Stadtrat nötig sind, aber selbst dort würde sich der Versuch lohnen, anzutreten. DIE LINKE hat aber nicht genug aktive Mitglieder, um dies leisten zu können.

Diese Art von kommunalpolitischer Arbeit ist oft nicht mehr als ein anstrengendes und zeitintensives Hobby – denn die Aufwandsentschädigung für die meisten Kommunalmandate ist so gering, dass man davon nicht leben kann. DIE LINKE braucht Menschen, und nicht gerade wenige davon, welche bereit sind, Zeit und Energie für die Partei einzusetzen, um flächendeckend in der Kommunalpolitik vertreten zu sein – ohne dass sich diese davon irgendwelche finanziellen Vorteile versprechen dürfen.

Bei bestimmten Kommunalmandaten, und erst recht bei Landtages- und Bundestagsmandaten, sieht die Sache natürlich ganz anders aus. Bei allen Mandaten, die so gut bezahlt sind, dass man davon leben könnte, gibt es mehr als eine BewerberIn auf der Aufstellungsversammlung. Ziemlich oft gibt es regelrechte Machtkämpfe zwischen parteiinternen Faktionen, die um solche Mandate konkurrieren, die nicht selten soweit eskalieren, dass die Mitglieder der unterlegen Faktion aus der Partei austreten. Hier liegt die eigentliche Aufgabe für den Parteiaufbau – wir müssen die Friktion, den Verlust von aktiven Mitglieder aufgrund von parteiinternen Machtkämpfen, deutlich verringern, sonst kann der Aufbau von flächendeckenden Strukturen und die Herstellung von Kampangenfähigkeit nicht gelingen.

Gerade in diesem Punkt stellt sich aber für diejenigen, welche meinen, dass die Partei die Interessen einer bestimmten Klasse (oder bestimmter Milieus) vertreten sollte, eine spezielle Frage: Wie verhält sich eigentlich jenes postulierte Klasseninteresse zum (egoistischen) Eigeninteresse derjenigen, welche beanspruchen, diese Klasse als Parteifunktionäre und Mandatsträger zu vertreten? Will man hier konsequent von ‚Interesse‘ ausgehen, dann sind die Konflikte um die begrenzte Zahl von gut bezahlten Mandaten und die Funktionärsstellen nämlich unvermeidlich. Für Menschen, die nur in der Partei sind, um selbst ein bezahltes Mandat zu ‚erringen‘ oder einen bezahlten Posten in der Partei zu ‚gewinnen‘, sind alle anderen Mitglieder der Partei dann nämlich potentielle Konkurrenten, und entsprechend verhalten sie sich auch. Dadurch wird zum einem die Kapitalismuskritik der LINKEN unglaubwürdig: Die Partei kann die Konkurrenzlogik des Neoliberalismus kaum glaubwürdig kritisieren, wenn es ihr nicht gelingt, die internen Konkurrenzkämpfe zu unterbinden. Zum anderen hat die Partei dann auch kaum eine Perspektive langfristig eine Mitgliederbasis zu gewinnen. Für jedes bezahlte Mandat und jeden Funktionärsposten braucht man sicherlich zwei Dutzend aktive Mitglieder, die ihre Zeit und Energie in die Partei investieren, ohne davon einen finanziellen Vorteil zu haben.

Das ist nur mal zur Diskussion gestellt.

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