Heute [21.11.2016] ist die erste Fraktionssitzung der Gruppe Grüne/Linke; über die Gruppenbildung wurde in den Lokalzeitungen berichtet (offizielle Pressemitteilung: hier), aber je nachdem, welche Zeitung man liest, wird einem vielleicht nicht klar, was die Vorteile einer Gruppenbildung im Stadtrat und die Gründe dafür sind. In der Berichterstattung durch die Calenberger Zeitung wurde es hinreichend dargestellt, in dem Artikel im Burgbergblick allerdings nicht.
Bei der Kommunalwahl am 11. September hat die CDU 9 Ratssitze, die SPD 8, die Grünen 5, die FDP 2, und ich hatte den einen Sitz für DIE LINKE errungen. Die AfD hat 3 Sitze erhalten, aber das ist an dieser Stelle nur am Rande relevant; insgesamt haben CDU/SPD und FDP zwar weniger Sitze, die Machtverhältnisse haben sich aber im Vergleich zu den vorherigen Legislaturperioden nicht geändert. CDU/SPD/FDP kommen immer noch auch knapp über 66% der Sitze. Diese drei Parteien werde also weiterhin das betreiben, was Heinz Strassmann von den Grünen als „jahrzehntelang dauernden Großen Koalition“ beschrieben hat (siehe diesen Artikel der Calenberger Zeitung).
Unter diese Umständen hätte ich als einzelmandatiertes Ratsmitglied eigentlich nicht viel zu tun gehabt, als gelegentlich einen kritischen Blogeintrag zu verfassen.Dies ist eine Besonderheit der Kommunalpolitik; bei Kommunalwahlen gibt es bekanntlich keine 5%-Hürde, dafür sind Parteien, die nur ein einziges Ratsmandat erringen können, dadurch benachteiligt, dass sie in den Ausschüssen nicht vertreten sind.
Dieser Nachteil lässt sich jedoch dadurch ausgleichen, dass man sich zu einer Ratsgruppe zusammenschließt. Dies ist auch im Interesse der Grünen – bei der Sitzverteilung im Rat erhält die Gruppe Grüne/Linke 2 Sitze in allen Ausschüssen (inklusive Verwaltungsausschuss), sowie eine 33% Chance auf einen 2. Ausschussvorsitz, (den wir dann auch erhalten haben), im Gegensatz zu 1 Sitz + 33% Chance auf einen 2. in jedem Ausschuss, den die Grünen sonst erhalten hätten. Dadurch haben allerdings die SPD eine 33% Chance auf einen weiteren Sitz in jedem Ausschuss verloren, und die FDP ihr 33% Chance, überhaupt Ausschusssitze zu erhalten.
Dass dies CDU, SPD und FDP verärgern würde, war klar. Es war also absehbar, dass diese sich ‚revanchieren‘, und die einzige Möglichkeit, die sie dafür hatten, war es, Eva Kiene-Stengel von den Grünen nicht als stellvertretende Bürgermeisterin zu wählen, obwohl dies eigentlich nach der Parteienproportionalität (Grüne als 3.-stärkste Partei) angemessen gewesen wäre, und sie dies auch die letzten 10 Jahre bereits gemacht hatte. (Hier der Artikel der Calenberger Zeitung dazu). Das hat die Grünen allerdings nicht davon abgehalten, die Gruppenbildung voranzutreiben. Die Grünen in Gehrden (nicht unbedingt in anderen Kommunen!) wollen links-ökologische Oppositionspolitik betreiben, sie sind sogar bereit, dafür auf den bisherigen Posten der 2. stellvertretenden Bürgermeisterin zu verzichten.
Die erfolgte Gruppenbildung setzt natürlich inhaltliche Gemeinsamkeiten voraus, welche auch in der Pressemittelung vom 30.10. anerkannt wurden. In Anbetracht der landes- und bundespolitischen Gegensätze zwischen LINKEN. und GRÜNEN sind diese kommunalpolitischen Gemeinsamkeiten allerdings erläuterungsbedürftig. DIE LINKE. ist, nicht nur bei den sozialen, sondern auch bei manchen ökologischen Positionen, radikaler als die GRÜNEN. (Man vergleiche z.B. diese Darstellung der energiepolitischen Positionen.)
Obwohl ich so oder so im Stadtrat in der Oppositionsrolle sein werde, stehe ich vor der Frage, in welcher Form ich diese Positionen vertreten werde. Wenn ich weiß, dass meine politischen Forderungen mit ziemlicher Sicherheit abgelehnt werden, dann kann ich sie auch gleich in ihrer Radikalität stellen. Ich kann aber auch meine politischen Gegner des Arguments berauben, dass meine Forderungen gar nicht realisierbar seien, indem ich sie in der Tagespolitik auf jenes Maß reduziere, welches tatsächlich realisierbar wäre. Für viele Linke ist jene zweite Strategie ein Verrat an den linksradikalen Positionen – für mich allerdings nicht. Denn falls die moderate Variante einer linkensradikalen Forderung tatsächlich einmal durchsetzbar ist, kann ich die nächste Legislaturperiode versuchen, die radikalere Variante durchzusetzen.
Die Forderung nach kostenfreien Kitas ist vielleicht auf den ersten Blick nicht linksradikal. Die Forderung nach einer vollständigen Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist allerdings (in Deutschland) durchaus linksradikal, und dies geht nur unter der Voraussetzung, dass die sehr überwiegend von Frauen bislang unbezahlt geleistete Reproduktionsarbeit in der Kindererziehung angemessen vergütet wird, und dies geht wiederum nur über ein Grundeinkommen oder über kostenfreie Kitas.
Für die Kommunalpolitik ist aber bereits die Forderung nach einem Grundeinkommen oder nach kostenfreie Kitas zu radikal, denn dies würde natürlich die Finanzkraft der Kommunen überfordern. Wenn ich also die Forderung nach kostenfreien Kitas programmatisch vertrete und mich auf das beschränke, was in der Alltagspolitik tatsächlich realisierbar wäre (siehe das Positionspapier dazu aus dem Wahlkampf), dann sind die Unterschiede zwischen LINKEN und Grünen so gering, dass eine Gruppenbildung auf kommunaler Ebene möglich ist. Ähnlich sieht es bei vielen anderen politischen Forderungen aus, zumindest bei allen, die wir im Vorfeld der Gruppenbildung untersucht haben.
Es gibt zwar nach wie vor den sehr wesentlichen Unterschied, dass die Grünen zu deutlich größeren Zugeständnissen an die SPD (oder CDU und FDP) bereit wären – aber dieser Unterschied wird sich in Gehrden die Legislaturperiode 2016-21 absehbar nicht manifestieren, da sich für SPD, CDU und FDP keine Notwendigkeit Zugeständnissen an die Grünen ergibt. In vielen anderen Kommunen dürfte dies anders sein
Außerdem bin ich mir nur zu gut bewusst, woraus die klamme Finanzlage der Kommunen überhaupt erst resultiert. Denn nicht nur die Regierungen unter Merkel haben Steuererleichterungen für Unternehmen und höhere Einkommen einer angemessen Finanzierung der öffentlichen Güter vorgezogen, die Rot-Grüne Regierung unter Schröder hat dies auch schon getan. Diese Politik – den ‚Neoliberalismus‘ – will DIE LINKE. beenden, aber dafür ist bundespolitisch keine Mehrheit absehbar. Die GRÜNEN haben sich zwar unlängst in der Frage höhere Steuern ein wenig bewegt, aber in der entscheidenden sozialen Frage, der Revision von Hartz-IV, haben sie sich m.W. nicht von dem Agenda-2010-Kurs distanziert.
Es gibt die Position, dass die GRÜNEN daher auch auf kommunalpolitischer Ebene kein Partner für DIE LINKE. sein können. Ich teile diese Position nicht, weil dies hieße, den geringen Spielraum, den es tatsächlich für Veränderungen gibt, aus rein prinzipiellen Gründen aufzugeben. Die Gruppe Grüne/Linke ermöglicht nicht nur bessere linke Oppositionsarbeit, sie erhöht auch minimal die Wahrscheinlichkeit, dass sich SPD oder CDU tatsächlich auf inhaltliche Zugeständnisse nach links einlassen müssen – und wenn es zu einer solchen Situation kommen sollte, kann DIE LINKE. in einer Gruppe mit den GRÜNEN weitreichendere Zugeständnisse verlangen, als es die Grünen alleine könnten.