Kostenfreie Kitas in Gehrden?

Letzte Woche [also schon am 2.9.2016] erschien in der Calenberger Zeitung ein ausführliches Portrait von mir. Der Text über mich und meine Positionen hätte zwar etwas länger ausfallen können (und dafür das Foto etwas kleiner), aber es ist doch erstaunlich, wie viel sich in diesen vier Spalten sagen ließ. Na gut, dafür hat die Calenberger Zeitung mich bei den Fragerunden an die KanditatInnen nicht berücksichtig. Allerdings hat Herr Wirausky eine Antwort von mir auf eine Frage in dem Kandidantenportrait berücksichtigt.

Als Antwort auf die Frage: ‚Werden sie Steuern oder Kita-Gebühren erhöhen?‘, hatte ich unter anderem geschrieben: „Eine Erhöhung der Kita-Gebühren lehne ich aus programmatischen Gründen ab (DIE LINKE. fordert kostenfreie Kita-Plätze)“. Dies lässt sich so lesen, dass ich mit der Forderung nach kostenfreien Kita-Plätzen in den Kommunalwahlkampf gehe, und so wurde es von Herr Wirausky auch dargestellt – tatsächlich bin ich jedoch nicht ganz so radikal. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass die Realisierung von kostenfreien Kita-Plätze auf kommunaler Ebene nicht sinnvoll umsetzbar wäre. Natürlich könnte eine Gemeinde beschließen, die Kosten für die Kitas vollständig zu übernehmen und die dadurch entstehenden Kosten durch Kreditaufnahme zu finanzieren. Aber selbst wenn das bei der Kommunalaufsicht irgendwie durchgehen würde, hieße dies, dass einige Jahre später, wenn die Kinder, deren Kita-Plätze kostenfrei gewesen wären, dann junge Erwachsene sind, viel weniger Spielraum für kommunale Ausgaben wäre – und das kann auch nicht im Interesse der Menschen sein.

Bei der Forderung nach kostenfreien Kita-Plätzen handelt es sich daher im eine ‚programmatische‘ Forderung. Es ist wichtig, dass so eine Forderung im Programm drin steht, damit Politiker wie ich sich in der Kommunalpolitik daran orientieren können, es ist aber schon ersichtlich, dass sie auf Gemeindeebene nicht ohne weiteres umsetzbar ist. Auf Landesebene wäre das allerdings was anderes. Ein gebührenfreies Kita-Jahr ist nicht nur in Thüringen in der Diskussion! Auf Landesebene sind kostenfreie Kitas keine unrealistische Forderung. Um eine solche Diskussion in Gang zu bringen, muss dies also Forderung jedoch bei entsprechenden Gelegenheiten, also u.a. Kommunalwahlkämpfen, zur Sprache gebracht werden.

Aber warum Gebührenerhöhungen ablehnen? Warum nicht die Gebühren nach Einkommen staffeln, im Fall von reichen Eltern höhere Gebühren verlangen und dadurch auch die Kita-Plätze für die restlichen 90% oder 80% gegenfinanzieren? Dies wäre doch auch auf kommunaler Ebene möglich. Die Antwort ist einfach: Weil Eltern ab einem gewissen Einkommen auch die Möglichkeit haben, ihre Kinder privat betreuen zu lassen, und der Staat – offensichtlich – nicht das Recht hat, private Kinderbetreuung zu verbieten!

Der Staat hat aber auf jeden Fall das Recht, Steuern zu erheben, und damit öffentliche Dienstleistung zu finanzieren. Dies ist allerdings eine Herausforderung für die Bundespolitik: Kommunen haben gar nicht die Möglichkeit, sinnvoll Steuern im nötigen Ausmaß zu erheben. Eine Kommune die Gewerbe- oder Grundsteuer zu hoch schraubt, vergrault nur Gewerbetreibende und Immobilienbesitzer. Diese sind im Übrigen nicht notwendigerweise wohlhabender als abhängig Beschäftigte oder Mieter – solche Steuern zu weit zu erhöhen wäre also nicht nur unklug, sondern auch unfair.

Kindererziehung als gesellschaftliche Aufgabe

Aber warum überhaupt die Forderung nach kostenfreien Kita-Plätzen? An dieser Stelle ist ein kurzer Text zum Begriff der Reproduktionsarbeit angebracht, wie er zum Beispiel von der Feministin Gabriele Winker verwendet wird. (Care Revolution: Schritte in eine solidarische Gesellschaft. Bielefeld 2015)

Kinderbetreuung (und insbesondere –erziehung) ist eine Arbeit, die offensichtlich für den Fortbestand einer Gesellschaft unbedingt erforderlich ist. In einer Familie, in der die Ehefrau zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert, wird diese Arbeit nicht direkt bezahlt. Um diesen Sachverhalt zu erfassen haben, haben TheoretikerInnen wie Winker Begriffe wie Care-/Sorgearbeit oder Reproduktionsarbeit entwickelt. Tätigkeiten wie Kindererziehung oder auch die Pflege von Familienangehörigen werden oft unbezahlt im Haushalt erledigt, und fallen dann nicht unter die verbreitete Vorstellung von Arbeit – es sind aber Tätigkeiten, die wie die Reproduktion des Gesellschaft unbedingt erforderlich sind.

Dass die Frau zu Hause bleibt, und sich um die Kinder kümmert, war zwar nur das bürgerliche Ideal – in der Wirklichkeit sah es, zumindest im 19. Jh., so aus, dass die Mütter und Kinder der Arbeiterklasse in die Fabriken (und teilweise sogar in die Bergwerke gingen), sobald sie auf diese Weise etwas für die Familie dazu verdienen konnten. Aber die Zeiten des Manchester-Kapitalismus sind doch wohl dauerhaft vorüber und Kinder sind keine Arbeitskraft-Ressource die es auszubeuten gilt!

Zumindest in den 1950ern und 60ern war dieses bürgerliche Ideal der Familie weitgehend realisiert. Eine Familie besteht aus Mann, Frau und Kindern: Der Mann geht zur Arbeit und verdient genug Geld, damit die Frau zu Hause bleiben kann und sich um die Kinder kümmern kann. Der Mann hätte in diesem ‚Familienernährermodell‘ auch ein Einkommen, das hoch genug war, um die Familie zu ernähren.

Um das Problem mit dieser Auffassung zu sehen ist es gar nicht nötig, dass mensch Feministin oder pro-feministisch ist. Wieso sollte eine Frau, die lieber arbeiten gehen würde, sich darauf beschränken, die Kinder zu erziehen, insbesondere dann, wenn diese Frau weiß, dass sie einen bestimmten Beruf besser erfüllen kann als ihre männlichen Konkurrenten? Das wissen natürlich auch die Kapitalisten (und ggf. Kapitalistinnen), die fähiges Personal suchen; sowohl der Kapitalismus als auch der Feminismus arbeiteten also daran, die konservativen Familienwerte, die hinter dem traditionellen Ernährermodell stehen, zu erodieren, und waren damit spätestens in den 1990ern erfolgreich.

Im Familienernährermodell sind die Kosten der Kindererziehung im Gehalt des Mannes erhalten. Jetzt ist die Gesellschaft von diesem Modell abgekommen, zu Recht, weil das gegenwärtige Modell, bei dem Männer und Frauen arbeiten, insbesondere Frauen mehr Freiheit ermöglicht. Aber wo fallen die gesellschaftlichen Kosten der Kindererziehung nun an? Im Gehalt der Eltern (die beide arbeiten)? Dann hätten wir doch nicht das Problem, dass einer der Anlässe für die Diskussion um Kita-Gebühren in Gehrden ist: Wenn Familien vor der Frage stehen, wie sie die Kosten für die Kita-Gebühren aufbringen sollen, dann ist das Familieneinkommen offenbar nicht hoch genug. Dies wäre ein weiterer Anlass, höhere Löhne zu fordern (nicht das es nicht schon genug weitere dafür gäbe).

Aber dies ist nicht die beste Lösung: Wahrscheinlich ist es sinnvoller, die Gesellschaft bringt die Kosten für die Kita-Betreuung gemeinsam auf (über Steuern), als dass sie individuell über die Löhne getragen werden. Wieso? Fast immer die die Höhe des Gehaltes unabhängig von der Zahl der Kinder (nur bei Beamten könnte es da einzelne Ausnahmen geben). Wenn Eltern die Kosten für die Kinderbetreuung selbst tragen müssen, dann werden Familien mir vielen Kindern klar ökonomisch gegenüber Familien mit wenigen Kindern schlechter gestellt, und Familien überhaupt gegenüber Singles. Da eine Gesellschaft gänzlich ohne Kinder kaum vorstellbar ist (sie würde zumindest nicht langfristig bestand haben können), erscheint dies zutiefst unfair.In der Bundesrepublik wird der  Schutz der Familie bekanntlich im Grundgesetz aufgeführt (§6). Dann ist eine gezielte Umverteilung von Singles zu Familien gerechtfertigt, und daher wäre es sinnvoll, dass die Gesellschaft insgesamt (durch die vom Staat erhobenen Steuern), die Kosten für die Kinderbetreuung trägt.

Das stört mich auch immer an der Diskussion um die Lohnnebenkosten. Natürlich kosten Kranken-, Rentenversicherung und dergl. die Gesellschaft etwas. Im deutschen Modell wird dies zum Teil über einen Beitrag vom Bruttolohn finanziert, andere Länder haben da andere Modelle. Wenn dann aber die USA z.B. in dieser Hinsicht als vorbildlich dargestellt werden, übersehen die Neoliberalen etwas: Glauben sie den wirklich, dass die Menschen in den USA nicht alt oder krank werden? Die Gesellschaft muss die Kosten für Alter, Krankheit und dergl. irgendwie tragen. Wenn die Menschen sich dafür privat absichern sollen, müssen die Löhne halt entsprechend höher ausfallen. Ob eine private Absicherung und den gegenwärtigen Umständen (bei den gegenwärtigen niedrigen Zinsen für das Geld, das die Versicherungen anlegen wollen) so sinnvoll ist, wäre noch eine andere Frage.

Auf jeden Fall bleiben die Kosten für Kranken- und Rentenversicherung die gleichen, egal sie nun als Lohnnebenkosten vom Bruttolohn abgezogen werden, oder in der Form einer privaten Absicherung aus dem Nettolohn bezahlt werden müssen. Die Debatte um die Höhe der Lohnnebenkosten ist also entweder eine ideologische Blendgranate, oder es geht in ihr um etwas ganz anderes, nämlich um die Frage, inwieweit die Gesellschaft auch diejenigen bei Alter- und Krankheit absichern will, die selbst nicht über die finanziellen Mittel dazu verfügen; Und in einer Gesellschaft, die ein Mindestmaß von Gerechtigkeit bewahren will, müssen natürlich auch sozial Schwache bei Alter und Krankheit versorgt sein.

Ähnlich bei der Kinderbetreuung: Wenn die Kosten dafür individuell getragen werden müssen, sind sie nicht Teil der Staatsquote. Wenn die Gesellschaft beschließt, diese Kosten gemeinsam zu tragen, und über Steuern zu finanzieren, sind sie plötzlich Teil der Staatsquote; die zweite Variante ist aber deutlich gerechter. Die Gesellschaft sollte durch eine über Steuern finanzierte Kinderbetreuung das Einkommen zugunsten von Kindern umverteilen.

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