„Wohlstand für alle.“

Auf meinem Personenplakat für die Wahl zum Stadtrat Gehrden steht ein einfacher Slogan: „Wohlstand für alle.“ Dazu einige Anmerkungen:

In der offiziellen Wahlbekanntmachung der Stadt Gehrden und später auf dem Wahlzettel ist ‚Doktorand‘ als meine Berufsbezeichnung angegeben. Tatsächlich ist dies meine primäre Tätigkeit. Hauptsächlich beschäftige ich mich damit, eine Doktorarbeit im Fach Politische Theorie und Ideengeschichte zu schreiben. Von dieser Tätigkeit könnte ich jedoch nicht leben. Ich habe weder ein Promotionsstipendium erhalten können, noch könnte ich, von dem einem Lehrauftrag, den ich im Wintersemester 2016/17 in Göttingen erhalten habe, meinen Lebensunterhalt bestreiten. Ich arbeite derzeit also als Kassierer in einem Discounter in Gehrden, und die eine oder andere hat mich dort sicherlich schon an der Kasse gesehen.

Ich zähle also zum jenem Teil der Generation X, die, trotz abgeschlossen Hochschulstudium, bislang im Arbeitsmarkt noch nicht richtig Fuß gefasst hat, zumindest so lange ich den Anspruch habe, eine Stelle entsprechend meiner Qualifikation zu finden. Ich bin bei weitem nicht der einzige in dieser Situation. Es gibt inzwischen schon Romane zum Thema.

Dabei ist das politische Problem nicht, dass auf dem Arbeitsmarkt keine hinreichende Nachfrage nach Menschen mit Hochschulabschluss besteht; das politische Problem mit dem Arbeitsmarkt ist, dass es überhaupt in Überangebot von Arbeitskräften in vielen Bereichen gibt, und daher Menschen, die aus Sicht der kapitalistischen Verwertungslogik ‚überflüssig‘ sind. Verschlimmert wird dieses Problem durch ein System der Arbeitslosenversicherung, welches davon ausgeht, dass Menschen, die keine Arbeit finden, einfach zu faul sind, und weiterer Disziplinierung bedürfen würden. Dabei ist es genau umgekehrt. Eben weil ein Überangebot an Arbeitskräften besteht, sind die Unternehmen nicht mehr gezwungen, sie bei ihren Leistungsanforderungen auch an den Schwächeren zu orientieren.

Menschen mit chronischen Erkrankungen sind körperlich oft nicht sonderlich fit. Menschen, die sich um kleine Kinder oder um Angehörige kümmern müssen, sind halt in ihren Arbeitszeiten oft nicht sonderlich flexibel. Wenn Arbeitskraft in dieser Gesellschaft knapp wäre, dann wären die Unternehmen gezwungen, darauf Rücksicht zu nehmen, und auch für solche ‚sozial schwachen‘ Menschen würde es Arbeitsplätze geben – aber da ein Überfluss ein an Arbeitskräften existiert, wird die Wirtschaft, sich selbst überlassen, an der derzeitigen Situation nichts ändern. Die politische Schlussfolgerung ist daher klar – Hartz IV muss weg, und an dessen Stelle muss entweder ein Grundeinkommen, oder aber eine umfassende, sanktionsfreie soziale Grundsicherung treten!

So lange die Arbeitsmarktlage für Niedrigqualifizierte so schlecht ist, sehe ich für mich persönlich keinen Anlass, über die schlechte Arbeitsmarktlage für Geistes- und Sozialwissenschaftler zu lamentieren. Mir könnte es zwar auch deutlich besser gehen, aber anderen Menschen geht es noch wesentlich schlechter als mir. Bevor ich politisch eine Verbesserung meiner Lage einfordern kann, muss ich erst fordern, ihre Lage zu verbessern. Was es allerdings aus persönlicher Perspektive beklagen will ist die schlechte Bezahlung für meine gegenwärtige Tätigkeit. Der Mindestlohn war schon mal ein Schritt in die richtige Richtung, aber das reicht noch nicht: selbst wenn ich Vollzeit arbeiten würde, könnte ich von meinem Lohn nie eine Familie angemessen versorgen. Und selbst wenn ich persönlich davon ausgehen kann, dass ich nicht den Rest meines Lebens eine Tätigkeit ausüben werde, die nur knapp über dem Mindestlohn bezahlt wird – irgendwer muss das machen. Die Angst der Konservativen über die niedrige Geburtenrate in Deutschland ist geheuchelt; ein Mensch, der im Niedriglohnsektor beschäftigt ist, kann es sich schlichtweg nicht leisten, eine Familie zu gründen, und das müsste jeden halbwegs kompetenten Politiker auffallen können.

Der einzige Grund, aus dem ich es schaffe, bei meiner Tätigkeit im Niedriglohnsektor trotzdem meistens gute Laune zu haben, ist, dass ich davon träume, dass eine LINKEN-geführte Bundesregierung den Mindestlohn auf 14€ die Stunde erhöht.

‚Wohlstand für alle‘  war in den 1950ern von Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack und anderen versprochen worden. ‚Alle‘ schließt natürlich eine Kassenkraft im Discounter genauso ein wie Menschen, die es unterschiedlichen Gründen dem Arbeitsmarkt nicht vollständig zur Verfügung stehen können. Dieses Versprechen sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Daher ist es auf meinem Wahlplakat auch mit Punkt, und nicht mit Ausrufezeichen geschrieben.

DIE LINKE. ist aber in der aktuellen politischen Landschaft in Deutschland die einzige Partei, die dies noch glaubwürdig versprechen kann.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s